YouNow – das offene Kinderzimmer

Ein neuer Internetdienst zieht immer mehr Jugendliche an. Gleichzeitig schrecken Datenschützer auf und beschwichtigende Stimmen geben Entwarnung. Die Rede ist von der Streaming-Plattform YouNow.

Privat Kunst Stück

Privat Kunst Stück von Thomas Kohler (CC BY-SA 2.0)

Was ist YouNow?

Mit YouNow können die Nutzer Livestreams von sich veröffentlichen. Andere Nutzer können die Streams live kommentieren und Fragen stellen. Ursprünglich wurde YouNow hauptsächlich von YouTube-Stars genutzt, um mit ihren Fans zu kommunizieren. In den letzten Wochen ist diese Plattform bei Jugendlichen, vor allem bei den Jüngsten, beliebt geworden. Laut Spiegel-Online ist die Zahl der Nutzer in den letzten zwei Monaten um 250 Prozent gestiegen.

Das Mindestalter ist laut AGBs 13 Jahre. Doch wer sich auf der Plattform umschaut, wird auch auf deutlich jüngere Heranwachsende treffen. Dieses Problem ist auch jüngst YouNow selber aufgefallen. Auf ihren Blog äußert sich die Plattform dazu: „Nutzern unter 13 Jahren ist der Zugang zu unserem Portal nicht erlaubt und diese würden ebenfalls mit sofortiger Wirkung verbannt werden.“

Ein Rundgang auf YouNow

Als Trainerin von Social Web macht Schule habe ich die Plattform genauer unter die Lupe genommen und mir an einem Abend einige Kanäle auf YouNow angesehen. Ohne Anmeldung gelange ich sofort zu den Streams. Ich entscheide mich dazu mich in den deutschsprachigen Kanälen umzusehen.

Mir gegenüber sitzt ein etwa 17-jähriges Mädchen. Sie ruft wahllos andere User an, die ihr vorher ihre Handynummern geschickt haben. Die erste Angerufene ist 12 Jahre jung und verrät während des Gespräches ihren Namen, ihren Wohnort und ihr Geburtsdatum und lädt gleich das fremde Mädchen aus dem Kanal zu ihrer Geburtstagsfeier ein. Es folgen weitere Anrufe.

Ich entscheide den Kanal zu wechseln.

Mir gegenüber sitzen zwei Jungs im geschätzten Alter von 14 Jahren und spielen ein Computerspiel. Das ist mir zu langweilig.

Ich klicke mich durch ein paar Kanäle. Ich erblicke einen Jungen, der mit einer rauchenden Zigarette im Bett liegt. Wieder klicke ich weiter.

Mich schauen vier Mädchen an – oder auch nicht. Alle vier starren in gebückter Haltung auf ihre Smartphones. Sie wischen und tippen darauf. Das eine Mädchen wählt plötzlich eine Nummer. Das gleiche Spiel wie im ersten Kanal folgt. Diesmal wählt sie wahllos fremde Nummern und ruft die Leute an. Ich möchte die Gespräche nicht mithören und wähle mich in den nächsten Kanal.

Ich schaue in ein Wohnzimmer. Alles ist sauber aufgeräumt, im Hintergrund springt eine Katze herum und es läuft Musik. Nach einer Minute setzt sich ein Mädchen vor die Kamera. Sie ist deutlich unter 13 Jahre. Sie stellt vor sich einen großen Teller Spagetti und fängt vor der Kamera an zu essen. Ich bekomme Hunger und entscheide mich dazu, die Seite zu verlassen.

Mein Fazit

Während meines YouNow-Rundgangs konnte ich in viele Kinderzimmer und elterliche Wohnzimmer schauen. YouNow ermöglicht einen Einblick in die Welt der Teenager, ihre ganz eigene, private Sphäre. Ist das nun gut oder schlecht?

Immer wenn ich mich frage, ob eine Technologie tendenziell Probleme hinsichtlich Datenschutz oder Privatsphäre verursachen könnte, übertrage ich das Virtuelle auf das Reale. Hier stellt sich also die Frage, ob ich einen maskierten Fremden von der Straße einfach mit in mein Wohnzimmer nehmen, seine Fragen beantworten und ihm Zugang zu meinen Bildern oder privaten Informationen geben würde. Und eben hier liegt das Problem: Younow ist eine der Technologien, die uns durch die Virtualität eine gewissen Privatheit und Anonymität vorspielt. Wir fühlen uns sicher und allein vor unserem Rechner. Als mündiger Internetnutzer entscheiden wir tatsächlich auch selbst, wo unsere Privatsphäre anfängt und welche Inhalte wir teilen möchten. Hier liegt der Knackpunkt: Der mündige, selbstbestimmte und reflektierte Internetnutzer.

Ich habe keinen bei younow gesehen, sondern nur Jugendliche, die für ein paar mehr Likes und ein bisschen mehr Aufmerksamkeit noch die letzten Hüllen haben fallen lassen.

Ob nun gut oder schlecht steht außer Frage. Es hat Vorteile, aber es hat eben auch gravierende Nachteile. Aus der Perspektive einer Mutter oder eines Vaters, der sich mit diesen Themen auseinandersetzt, wäre wohl von einer kindlichen Younow Nutzung abzuraten. Aus der Perspektive des Lehrers, der während des Unterrichtens ohne sein Wissen gefilmt wird, auch.

Und weiter?

Es bleibt noch das (traurige) Fazit von Praschl (2015): „Wenn sie nicht so ängstlich und herablassend wären, fiele Erwachsenen möglicherweise das Großartige an YouNow auf: Wann hat es das schon gegeben, dass Teenager stundenlang erzählen können, wie ihr Leben so ist, ohne dass ihnen jemand ins Wort fällt, sie auf später vertröstet, korrigiert, mit Ratschlägen zuspamt? Schade eigentlich, dass es das nur für junge Leute gibt. Schließlich könnten auch Erwachsene es gut gebrauchen, sich leer reden zu dürfen.“

Unabhängig davon, dass den Teenies auch bei Younow ins „Wort“ gefallen wird und keine wirklichen Unterhaltungen entstehen, stellt Praschl eine interessante Forderung: Hört den Jugendlichen einfach mal wieder zu – ohne Angst, ohne Vorurteile, ohne einen Ratschlag parat zu haben. Mal so richtig real und analog. Unterhalten kann man sich mit Jugendlichen nämlich tatsächlich auch solange man ihnen wirklich und echt Aufmerksamkeit schenkt, aktiv zuhört und sie nicht einfach alleine Spagetti essen lässt.

Quellen:

Welt.de

Spiegel-online.de

Juuuport.de

Der letzte Aufruf erfolgte jeweils am 16.02.2015.

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